Wir wollen eine:n Sexualbegleiter:in engagieren, was müssen wir beachten?

8 DINGE, DIE EINE BEGEGNUNG VERBESSERN KÖNNEN

Fakt: das engagieren von Sexualbegleitung ist in gewisser Weise „Tatbestand“ der passiven Sexualassistenz, zu der Sie als Mitarbeiter:in einer Einrichtung für behinderte Menschen berechtigt und des Weiteren auch verpflichtet sind, sollten Sie mit behinderten Menschen arbeiten. 

Die passive Sexualassistenz kann u.a. umfassen: das in Kontakt treten mit Anbieter:innen, aber auch das Besorgen von Aufklärungsmaterialien, sowie Vibratoren und/oder Verhütungsmitteln.

Das Beispiel das ich anführe, ist absolut nicht die Regel. Aber eben auch eine Begebenheit, die ich zukünftig gerne vermeiden möchte.

Beispiel: Einer meiner Klienten, nonverbal, blind und im Rollstuhl sitzend, war bereits, oder viel mehr – eher noch – auf seinem Zimmer, weil die Wohngruppe gerade von der Tagesstätte kam. Alle anderen bewegten sich im gemeinsamen Wohnzimmer wo ich einen relativ hektischen Mitarbeiter antraf.

Der Termin – den ich bereits einem Monat zuvor ausmachte – wurde allerdings nicht weitergeleitet. Weshalb sowohl der Mitarbeiter, als auch der Klient, nicht wusste das der Termin an diesem Tag stattfinden sollte. In Folge dessen, wurde ich fahrig und auch nervös gefragt, wie ich „ihn denn gerne hätte“. Ich sagte das es schon sinnvoll ist, wenn wir in seinem Bett liegen können und er etwas Bequemes tragen würde. Da ich mich vorab oft noch kurz im Bad frisch mache tat ich auch an diesem Tag dies, hatte aber auf dem Rückweg eher das Gefühl, der Klient sei schnell aufs Bett „geschmissen“ worden und auch das ruckelige Ausziehen bekam ich noch teilweise mit.

In der Konsequenz dieser nicht-Vorbereitung, hatte ich einen sehr unruhigen Menschen im Bett liegen, den ich erstmal durch erste einfache Kontakt-Berührungen mit meiner Hand zu beruhigen versuchte, aber eine normale Sexualbegleitung war unter diesen Voraussetzungen so leider an diesem Tag nicht mehr möglich. Er war unruhig und sehr nervös und strotzte nur so vor Anspannung, die ich nicht mehr beruhigen konnte. Ich habe den Vater über diesen Vorfall in Kenntnis gesetzt und es blieb eine absolute Ausnahme.

Wir hatten sowohl zuvor, als auch danach schon oft sehr entspannte und schöne Begegnungen, weshalb ich unsere Treffen nicht generell in Frage stelle, aber weil es für Sie und mich hilfreich sein kann, möchte ich auf einige Punkte hinweisen, die eine Begegnung angenehmer werden lassen.

AUFKLÄRUNG

Klären Sie alle Ihre Mitarbeiter:innen über dieses Angebot auf. Dies kann durch Bücher aber auch Dokumentationen oder Thementage geschehen. Gerne komme ich auch persönlich vorbei, um ein solches Angebot zu gestalten.

Das kann zum einen die Aufregung nehmen, die wohl jede:r dabei verspürt, wenn es um dieses Thema geht, als auch offene Fragen beantworten. Gegebenenfalls ist dies auch bei Angehörigen und/oder gesetzlichen Betreuer:innen nötig.

Vereinbaren Sie Treffen nur, wenn Sie sicher sind, dass Mitarbeiter:innen da sind, die keine generellen Vorbehalte gegen die Begegnung haben. Vorbehalte kann man oft nicht gänzlich ausräumen. Konventionen wie Glaube, Herkunft und Alter können Menschen diese Arbeit ablehnen lassen. Ziel ist nicht, alle zu überzeugen oder eine „positiv verherrlichende Sicht“ auf die Sexualbegleitung entstehen zu lassen, aber eine möglichst freundlich neutrale und wertungsfreie Ebene zu schaffen.

RUHE

Stellen Sie sicher, dass sowohl in der Wohngruppe in dieser Stunde, als auch im Tagesablauf der betreffenden Person, genug Ruhe und Zeit vorhanden ist. Ein Moment des Ankommens (z.B. nach der Tagesstätte) sollte zuvor stattgefunden haben. Auch sollten Termine wie Physiotherapie o.ä., an anderen Tagen stattfinden. 

Das gleiche gilt auch für den Moment nach der Begegnung. Lassen Sie der Person einen Moment des Abklingens und binden Sie die Person danach wieder ruhig in Ihren Alltag (z.B. Abendessen in der Gemeinschaft) ein.

Auch ist es schön, wenn wir Sie nicht quer über den Flur andere Bewohner:innen rufen, da die meisten Gebäude hellhörig sind.

Sie müssen nicht flüstern und es lassen sich nicht alle Geräusche vermeiden, aber eine gewisse Rücksichtname in der Lautstärke, kann sich gerade auf die geräuschempfindlicheren Menschen beruhigend auswirken.

ANKÜNDIGUNG

Stellen Sie sicher, dass alle Kalender das Treffen verzeichnet haben. In der Regel wird in den Wohngruppen mit zwei Kalendern gearbeitet und es ist immer der in den Sie reinschauen, in dem der Besuch nicht verzeichnet ist 😉

Sie müssen kein großes Bohei darum machen, dass ein:e Sexualbegleiter:in kommt, aber teilen Sie der betreffenden Person und den diensthabenden Kolleg:innen mit, dass XY ein Treffen hat. 

Besonders schön ist es, wenn es vielleicht sogar einen Tag vorher und am gleichen Tag geschieht, denn die Person von der ich anfangs sprach, zeigte in den Jahren zuvor dann durchaus schon erkennbare Freude. 

Ein einfaches: „Und morgen kommt Edith zu Besuch“ hilft sicher, dass (auch nonverbale) Klient:innen eine Vorstellung ihrer Wochengestaltung bekommen. 

RÄUMLICHKEITEN

Darauf habe ich mich ganz besonders gefreut! Eigentlich entsteht dieser ganze Beitrag nur, weil ich als ehemalige Produktdesignstudentin darüber schreiben möchte. 😉

Nun, ich möchte nicht anklagend sein und Sätze mit einem „Aber“ sind oft nicht gut, ABER: Kalte Räume, helle Deckenfluter und lautes, schlecht klingendes Radio sind es auch nicht, um eine ansatzweise entspannte Atmosphäre zu schaffen. Stellen Sie also sicher, dass das Zimmer der Person eine (Jahreszeitenabhängig) leicht gewärmte Raumtemperatur hat. Normale 20 Grad Celsius sind gut, vielleicht sind 23 Grad Celsius aber einen Tick besser. Wenn die besagte Person leicht friert, sind auch warme Socken und/oder eine Wärmflasche schön und nicht unerotisch, damit ich nicht die eine Stunde damit zubringe, jemandem die Füße warm zu reiben.

Schaffen Sie angenehmes Licht. Es muss nicht das rot blinkende Herzchen sein, aber ein angenehm warmes Licht am Bett kann viel zur Stimmung beitragen und eignet sich im Übrigen sicherlich auch in den anderen Abendstunden. Es muss kein offenes Feuer wie Teelichter sein, aber auch eine Lichterkette kann atmosphärisch sein.

In der Regel bringe ich Musik oder mein Handy mit, aber die Überlegung kann doch generell sein, ob man nicht mal von den klassischen Kinderhörspielen zu Erwachsenenhörspielen und/oder aktueller, ruhiger Musik übergehen kann. Dann kann ich mal auf ruhigen Pop, Hip-Hop, Elektro oder Rock zurück greifen, der der Person schon vertraut ist und die sie mag.

Vorhänge die sich schließen lassen, runden die Privatsphäre auch nach außen ab.

PRIVATSPHÄRE

Ganz wichtig! Seien Sie sich bitte bewusst, dass Sie permanent in die Privatsphäre von Ihren Bewohner:innen eindringen. Sollten Sie manchmal das Gefühl haben, es wird Ihnen auf die Pelle gerückt, Sie machen es 1000 fach bei den Menschen, mit denen Sie arbeiten. Zum einen lässt es sich leider nicht vermeiden, zum anderen verrate ich gerne, dass ich privat auch ein unglaublich ungeduldiger Mensch bin und an Ihrer Stelle sicherlich auch des öfteren das Anklopfen vergessen würde. 

Ich weiß es stiehlt Zeit, wirkt oft affektiert und man hat den Eindruck, Bewohner:innen würden es eh nicht wahrnehmen. Aber es gab eine ganz lange Zeit nicht die Wahrung dieser Grenze. Entweder es sind ältere Bewohner:innen, oder sie lebten vielleicht vorher bei ihren Eltern, die dies auch nicht immer beachteten… Stellen Sie sich die Situation einfach mal umgekehrt vor. Wie würden Sie reagieren, stünde ich ohne zu Klopfen in Ihrem Schlafzimmer oder in Ihrem Bad?

Oft gehört es ansonsten noch zu meiner Arbeit, auch an einem „Gefühl für Privatsphäre“ zu arbeiten. Sowohl bei Ihnen, als auch bei der betreffenden Person. Und es gibt nichts schwierigeres.

Tipp: basteln Sie ein Schild mit dem Text: „Bitte nicht stören!“ wenn Sie aus Sicherheitsgründen keine Zimmerschüssel rausgeben dürfen. Es sollte reichen, ist nicht zu auffällig und kann auch für andere Auszeiten genutzt werden. Sie können es auch im Zuge der Vorbereitungen und für die Vermittlung von Privatsphäre z.B. mit den Klient:innen gemeinsam machen, wenn es sich anbietet. 

HYGIENE

Ich möchte anmerken, dass ich diesen Beitrag im Mai 2020 schreibe und der Corona-Virus gerade meine gesamte Arbeit bis auf unbestimmte Zeit unter Berufsverbot stellt, ich leider immer noch auf mein Crowdfunding und Unterstützung via Paypal angewiesen bin und fast ganz Deutschland ziemlich lahm gelegt hat. Deshalb, waschen auch Sie sich bitte regelmäßig die Hände und halten Sie möglichst viel Abstand zu anderen Menschen. Auch abseits der Quarantäne, waschen Sie sich bitte regelmäßig, gründlich und lange genug die Hände und fassen Sie sich nicht immer ins Gesicht. *IronieMitErnstemAnteil

Meistens habe ich ein paar Kleinigkeiten wie Desinfektionsmittel und Taschentücher mit dabei und oft steht Ähnliches im Pflegealltag eh in Bettnähe der Bewohner:innen griffbereit, aber Küchenrolle ist mein persönlicher Traum! Wenn nicht, sprechen Sie die Anbieter:innen vor den Terminen gerne an. Vielleicht können Sie noch etwas bereit stellen und sie/ihn dadurch unterstützen.

Wünschenswert wäre es zudem auch, einen Tag auszusuchen, an dem die betreffende Person sowieso gewaschen oder geduscht wird und frische Bettwäsche bekommt. Bei stark bewegungseingeschränkten Menschen geht viel Zeit für uns verloren, wenn ich die Person, deren Bewegungsabläufe ich beim an- und auskleiden noch nicht ganz kenne, zuvor erst von ihrer Alltagskleidung wie T-Shirt, Pullover, Jeans, Gürtel, Socken und Schuhen befreien muss. Weil ich aber nicht möchte, dass derjenige schon einfach „nackt da liegt“, wäre eine frische Jogging- oder Pyjamahose und ein Shirt toll!

Kommunizieren Sie bitte, ob die Person eine ansteckende Krankheit hat. Mir wurde mal im Anschluss an regelmäßige Termine mitgeteilt das jemand Hepatitis B hat und unbehandelter Nagel- oder Fußpilz sind mein ganz persönlicher Horror!

ZUVERLÄSSIGKEIT

Stellen Sie bitte bitte sicher, dass die Termine eingehalten und/oder rechtzeitig abgesagt werden. Für den Notfall habe ich auch einen Anrufbeantworter und/oder eine E-Mail Adresse und plane oft engmaschig mit längeren An- und Abfahrtzeiten, da viele Einrichtungen weit ausserhalb der Stadt liegen. 

Andernfalls muss ich den Termin leider in Rechnung stellen. Etwaiger Hickhack kann auch mein Vertrauensverhältnis zu Ihrer Einrichtung beschädigen und dies hat leider auch Auswirkungen auf mein Gefühl bei dem nächsten Besuch.

FINANZIERUNG

Oh Gott, dass Schlimmste zum Schluss!  Nein, es gibt immer noch nicht den „Sex auf Krankenschein“. Und ich werde auch nicht müde zu sagen, dass es das wohl Falscheste wäre, was man behindertenpolitisch (zumindest bei „nur“ körperbehinderten Menschen) einführen könnte. Maßgeblich würde dann das Bild entstehen, dass behinderte Menschen „eh nur dieses Angebot übrig bleibt“ und wir würden die Nutzer:innen dieses Angebots sexuell pathologisieren und sexuell zu „weniger fähig“ erklären. 

Aber stellen Sie sicher, dass die Finanzierung gedeckt ist. Und ja, ich höre Sie lachen wenn Sie dies lesen und es tut mir leid! IdR. wird die Arbeit durch Angehörige und/oder dem (den Namen nicht wert) Gehalt von der betreffenden Person gezahlt. Schätzen Sie es bitte vorab möglichst realistisch ein. Besprechen Sie bitte ausreichend Abstände, aber eben auch Regelmäßigkeiten, in denen Besuche finanziell abgedeckt sein können. Gerade zur Anfangszeit sind engmaschigere Abstände (zur Vertrauensbildung und um einen gewissen Wiedererkennungswert zu schaffen) nötig. Sodass auch ich eine gemeinsame Vertrauens-Basis mit der Person entstehen lassen kann.

Es gibt abseits dieser „Not-Lösung“ in Einzelfällen noch Unterstützung durch die öffentlichen Kassen, allerdings sind diese eher bei der Sexualassistenz von zwei bewegungseingeschränkteren Personen und/oder im Rahmen des persönlichen Budgets gegeben. 

Mir bleibt leider gerade nichts weiter übrig als abschließend zu schreiben: Sprechen Sie bitte in aller Deutlichkeit Ihre Leitungen auf das Angebot der Sexualbegleitung, das Recht zur Ausübung von Ihren Bewohner:innen und die Finanzierung dessen, an. Wenn es ein finanzielles Kontingent für Ausflüge und andere Freizeitgestaltungen gibt, sollte es dies doch auch für die eigenständige sexuelle Entwicklung von Bewohner:innen Ihrer Einrichtung geben.

Es gibt kein „Recht auf Sex“, aber durchaus das politische Recht auf die sexuelle Entfaltung eines jeden Menschen. Und Ihre Träger:innen müssen dies endlich auch anerkennen. Satt und sauber reicht nicht!

Teilen Sie Beiträge wie diesen in Ihrer Einrichtung, um darüber aufzuklären!