Warum ich ganz bewusst den Begriff Sexualbegleitung und Sexualassistenz trenne und wie es praktisch aussieht, wenn es nicht verboten wird!
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Spoiler: Ich habe keinen Sex mit dem Paar.
Max* und Franzi* meldeten sich vergangenes Jahr bei mir. Sie bräuchten Sexualassistenz um eine partnerschaftliche Sexualität umsetzen zu können. Sie bräuchten Unterstützung für gemeinsames Kuscheln unter einem dicken Plumeau**, Hände die sie sich Streicheln und Berühren lassen, aber auch Hände für gemeinsame Orgasmen.
Ich trenne die Begriffe Sexualassistenz und Sexualbegleitung ganz bewusst. Die Sexualbegleitung ist meine Basis, mein Schwerpunkt und ein 1:1 Kontakt mit einer anderen Person. Bei der Begleitung mit Einzelpersonen entsteht oft eine intimere Verbindung zwischen der Person und mir. Die Sexualassistenz ist eine 2:1 Situation und sie empfinde ich als wesentlich praktischer, meine Person zurückhaltender und ich bin, wenn überhaupt, nur Ideen gebend.
Platt formuliert: Sexualbegleitung ist mit Kuscheln, Sexualassistenz ist andere zum Kuscheln befähigen.
Eigentlich meldete sich aber erst Max. Vorige Erfahrungen hatten mich aber bei „Paaranfragen“ von Männern misstrauisch werden lassen. Es kam vor, dass es nach dem ersten Kontakt mit dem Mann, zu keinem weiteren Kontakt mit der angeblichen Frau kam…
Bis heute weiß ich nicht ob es sie überhaupt gab oder gibt. Es kann auch sein, dass es nur darum ging unter einem Vorwand einen Kontakt mit mir herzustellen. Zumindest war das dann meine Vermutung.
Sexarbeiter:innen bezeichnen diesen Zeitaufwand dann wohl als Lehrgeld.
Hochmotiviert forderte ich also deshalb den Kontakt mit Franzi, der angeblichen Partnerin, ein. Telefonisch und nicht nur via Mail. Dabei hätte ich bedenken sollen, dass sie Schwierigkeiten mit ihrer Aussprache haben könne.
Das ist dann das Lehrgeld von Sexualbegleiter:innen.
Aber alles bestätigte sich. Die beiden sind seit zwei Jahren in einer Beziehung, leben in einer eigenen Wohnung mit 24 Stunden Assistenz, da sie beide Rollstuhl fahren und im weitesten Sinne körperlich immobil sind.
Max hat Muskeldystrophie Duchenne und Franzi Cerebralparese.
Und beide lieben sich und wollen miteinander Sex haben.
Dafür bräuchten sie so jemanden wie mich und meine aktive Sexualassistenz.
Ihre Assistenz für den Alltag darf und soll dies nicht übernehmen, da es juristisch verboten ist und eine professionelle Distanz gewahrt werden muss.
Eine außenstehende Person schafft eine gewisse Privatsphäre und Anonymität gegenüber der Alltagsassistenz und dem privaten Umfeld und im besten Fall wird es beidseitig ein freundlicher, zugewandter Kontakt zu allen Personen.
Menschen wie ich unterstützen sie als aussenstehende Handlanger:in. Und das ist gar nicht despektierlich gemeint, sondern tatsächlich „Part of my Job“. Ich bewege bei einem solchen Termin ihre Gliedmaßen und ihre Körper.
Wenn ich zu ihnen komme, sind sie von ihrer Assistenz schon auf meinen Besuch vorbereitet und liegen in ihrem Schlafzimmer.
Zu Beginn war ich sehr aufgeregt, da ich bis dato ausschließlich Erfahrung in der Sexualassistenz eines lernbehinderten Paares hatte, das allerdings mobil war.
In Fällen einer Sexualassistenz bei lernbehinderten Paaren bin ich eher Ideengeber:in und überlege mit den beiden, wie sie ihre gemeinsame, intime Zeit gestalten können. Auch eine sehr schöne Situation, allerdings eine komplett andere Ausgangslage.
Man muss das eigene Bild von gemeinsam gestalteter Sexualität hinterfragen, im Kopf behalten, was man vielleicht vorher schon genormt von der Gesellschaft übernommen hat und sollte es nicht als Maßstab vermitteln. Wichtig ist auch, welche Auffassungsgabe sie besitzen und welche eigene, persönliche Bereitschaft beide Personen in die möglichen Situation mitbringen wollen und können.
Max und Franzi sind aber voller Ideen, Wünsche und Pläne. Bestimmt auch in ihrem Alltag und Leben, aber eben auch in ihrer Sexualität. Diese Vorstellungen, Ideen und Wünsche bestehen bereits!
Franzi hat starke Spastiken in ihren Beinen und Max nur noch minimale Fähigkeiten seine Finger zu bewegen. Die eine hat also eine Überfunktion ihrer Muskeln und ist wie ich, eine lebende Wärmflasche, der andere ist körperlich konstant kalt und zu eigenen Bewegungen nicht fähig. Eine Gegensätzlichkeit, die ein paar Dinge also durchaus herausfordernd werden lassen und auch ein paar andere Dinge wahrscheinlich ausschließen.
Mir war es von Anfang an wichtig, dass ich mich wirklich im Hintergrund halte, mich nur minimal schminke und bequeme Kleidung trage und Franzi das „begehrt werden“ überlasse. Eine visuelle Grenze herstelle. Vielleicht nehme ich mich in diesem Aspekt zu wichtig. Aber ja, es kam schon vor, dass junge Männer in einer Sexualbegleitung für mich schwärmten und ich wollte das mich Franzi eher als eine Freundin, denn als mögliche Konkurrentin sah und das Max sie weiterhin begehrt.
Und der erste Termin gab mir zumindest in einem Belang recht. Eher muss ich auf nicht quetschende, bequeme Schuhe, kurze Fingernägel, einen praktischen Zopf, ein Sport-BH und ein gutes Fitness-Level achten, als auf ein schönes Äußeres. Denn ich war nach unserem Termin fürchterlich verschwitzt und k.o. 😀
Es werden Stellungen ausprobiert die sie sich vorstellen können, ich führe ihre Wünsche der Befriedigung aus, ziehe mich dabei „mental“ etwas zurück und werde hoffentlich zur Nebensache für die beiden.
Gar nicht so einfach für ein rheinländisches Plappermaul wie mich, aber oft auch unglaublich schön, wenn man fühlt wie das Gefühl zwischen den beiden „schwingt“.
Ich nutze selten den Effekt von „Inspiration-Porn***“ aber diese Situationen machen mich regelmäßig demütig. Demütig für die beiden. Dieses Paar.
Dieses Paar von dem wir uns 100 Scheiben abschneiden sollten. An Geduld, Offenheit und dem Willen, gemeinsam zu leben und sich zu lieben.
Wie der „normale Sex“ bei nicht behinderten Menschen, ist jedes Treffen und jeder Termin einmal im Monat, anders.
Einmal ist es wunderschön – empfunden für mich – weil ich die Magic spüre.
Ein anderes Mal ist es etwas doof, well nicht alle Vorstellungen umsetzbar sind, oder weil einer von ihnen (oder ich?) nicht ganz so gut drauf bin.
Aber das ist bei “uns” doch auch manchmal so, oder?
Dieses Paar schreibt mir gerade regelmäßig und hofft wie ich, dass Corona bald vorbei ist und der aktuelle Versuch von 16 Parlamentarier:innen, die Sexarbeit über Convid 19 hinaus zu verbieten, erneut scheitern wird.
Denn wenn die Sexarbeit – zu der auch meine Dienstleitung gehört – verboten würde, hätten sie das Recht auf freie Entfaltung ihrer Sexualität voraussichtlich nie wieder!
Tipp: Die beiden nutzen derzeit die Finanzierungsmöglichkeit im Rahmen des “Persönlichen Budgets”, durch das Sozialamt. Dadurch ist ihnen ein Besuch von mir als Sexualassistenz 1 x im Monat möglich. Der „Fun-Fact“ an der Sache ist nämlich der, dass es übernommen wird wenn beide Parteien körperlich so stark eingeschränkt sind, dass eine selbstständige Umsetzung ihrer partnerschaftlichen Sexualität ohne aktive Sexualassistenz nicht möglich wäre.
Ich habe den beiden vorab diesen Beitrag zukommen lassen und sie um ihre Meinung und ein Feedback gebeten. Sie haben ihn gelesen und mir ihre Einverständnis zur Veröffentlichung auf meinem Blog gegeben.
Von Herzen vielen Dank Franzi & Max!
*Die Namen der beiden Personen wurden zum Schutz ihrer Privatsphäre geändert
**Entschuldigt für meine Wortliebe für eine dicke Decke <3
***Inspiration-Porn: Aus dem Englischen übersetzt = Inspirationsporno, der die Darstellung von Menschen mit Behinderungen als inspirierend, allein oder teilweise aufgrund ihrer Behinderung wertet. Geprägt wurde dieser Begriff von Stella Young.
Schön zu lesen, mit wieviel Fingerspitzengefühl und dennoch auch gewissem Humor Sie schreiben. Sie schaffen es gut, das schwierige Thema verständnisvoll rüberzubringen.
Ich stelle es mir ziemlich schwierig vor, eine andere Person, die ich nicht als “ganze” Person (=Frau) wahrnehmen dürfte, in mein Sexualleben zu integrieren. Als Nichtbetroffener hat man ja beispielsweise schon Ängste bei dem Gedanken, auf Bettpfannenhilfe angewiesen sein zu können. Dabei wäre dies nur eine eher mechanische Hilfestellung, die sexuelle Hilfestellung hingegen umfasst ja viel mehr Privatsphäredimensionen. Ich hätte mir deswegen vorgestellt, dass es vor der eigentlichen Hilfestellung noch mehr”unverbindliche” Treffen gibt, bei denen man erstmal Vertrauen aufbauen möchte. Aber vermutlich würde das auch ein wenig die nötige Distanz gefährden, wenn man als “Freund” wahrgenommen wird, oder irre ich da?
Unabhängig vom Obigen: Ich freue mich, dass Sie Menschen so helfen können! Verrückt, dass es Menschen gibt, die sich nicht darüber freuen, oder es zumindest akzeptieren können. Aber lassen Sie sich davon bitte nicht beirren.